Koinzidenz von Bildrhetorik und Optik der Sprache – zu Michael Endlichers „Fotoschriftschnitten“

(English version below)„ICH BIN EIN TRANSNATIONALER KÜNSTLER“, „ICH BIN EIN GENDERNEUTRALER KÜNSTLER“ oder „ICH BIN EIN ENGAGIERTER KÜNSTLER“: Den Begriff „Litanei“ interpretiert Michael Endlicher in den „Fotoschriftschnitten“ als Kunstform und Kunstkritik zugleich. Mit meditativem Gestus verweist das Personalpronomen „ich“ in jedem Satz erneut auf das Künstlersubjekt, das zugleich Sender und Empfänger sowie Ausrufender und Anzurufender ist. Die konsequente Wiederholung der visuell vorgetragenen Sätze bildet das Gerüst, um das herum sich das Werk in seiner inhaltlichen und formalen Ausarbeitung aufbaut.
Die Instanz der vorgetragenen Sätze bilden subjektlose Landschaftsphotographien, die an überhöhte Motive der Landschaftsmalerei wie z.B. aus der Romantik und des Realismus erinnern. Sie widerspiegeln auf ironische Weise die von der Gesellschaft formulierten zeitgenössischen Künstlerideale wie Popularität, politische Korrektheit oder Engagement, die unter anderem als Voraussetzungen für den Erfolg innerhalb kunsttheoretischer und Kunst vermarktender Strategien gelten. Neben den von Außen gestellten Anforderungen thematisiert Endlicher aber auch persönliche und an sich selbst gerichtete, wie z.B. formalistisch, diskursiv, prozessorientiert oder sportlich zu sein.
In den Fotoschriftschnitten tragen gerade die Selbstbezüglichkeit und Reflexivität von Material, Form, Anordnung und (Schrift-)Bild den gesuchten syntaktischen und semantischen Polyvalenzen Rechnung. Hier koinzidiert die Rhetorik des Bildes mit der Optik der Sprache, indem die romantisierenden und affektbetonten Bilder harsch von den Ein- bzw. Ausschnitten unterbrochen werden, die der Künstler vorgenommen hat, um den Photographien eine zusätzliche Bedeutungsebene hinzuzufügen.
Sowohl die Landschaftsmotive als auch die Leinwand referieren auf das künstlerische Medium der Malerei, das durch die Form sprachlicher Zeichen ad absurdum geführt wird. Die Anordnung der einzelnen Zeichen, mittels der Technik des Nähen, erweitert das Werk um eine handwerkliche Ebene und fügt dem Ganzen die Wahrnehmung von Fragilität hinzu. Der augenscheinlichen Zerbrechlichkeit der „Fotoschriftschnitte“ wird jedoch der schwarze Bindfaden entgegen gestellt, der die einzelnen Elemente, nicht auflösbar, zusammenhält. Auf der Ebene der Wahrnehmung fordern Endlichers „Fotoschriftschnitte“ das Rezeptionsvermögen der Betrachterin insbesondere heraus, indem sie zunächst die Möglichkeit der Interpretation verwehren: Weder sind - im ersten Moment der Wahrnehmung - das Bildmotiv als Ganzes erfassbar, noch die einzelnen Buchstaben als Text lesbar.

Birgit Rinagl, 2013. Literaturwissenschafterin, freie Kuratorin, künstlerische Fotografien und Sekretärin.


Coincidence of Image Rhetoric and the Visual Appearance of Language
On Michael Endlicher's "Photographic Type Faces"

I AM A TRANSNATIONAL ARTIST, I AM A GENDER-NEUTRAL ARTIST, I AM A COMMITTED ARTIST: In each sentence the personal pronoun “I” keeps referring with meditative gesture to the artistic subject, who is both, transmitter and receiver, as well as a subject that shouts out and is called. The consequent repetition of visually presented sentences forms the framework for the work’s elaboration in form and content.

The instance of the sentences that are presented is formed by landscape photographs without subjects that are evocative of stilted motives of landscape painting like those from the period of Romanticism. In an ironic way they reflect contemporary ideals of the artist forged by society like popularity, political correctness or commitment, which, among others, are regarded as conditional for success in the framework of strategies concerning art theory and art marketing. Beside the demands from outside Endlicher also deals with personal ones that he makes on himself, like for example to be formalistic, discursive, process-orientated or athletic.
In the photographic type faces it is just the self-referentiality and reflexivity of material, form, arrangement and (type) face that provide for the sought-after syntactic and semantic polyvalences. The rhetoric of the image thus coincides with the visual appearance of the language by harshly intersecting the romanticising and affective images with the gashes and cut-outs performed by the artist in order to add an additional semantic level to the photographs.
Both, the landscape motives and the canvas, refer to the artistic medium of painting which is reduced ad absurdum by the form of linguistic signs. The arrangement of the individual signs by means of the technique of sewing adds an artisanal level to the work and augments the whole with a sensation of fragility. However, the apparent fragility of the photographic type faces is opposed by the black string holding together the individual elements inseparably. On the level of perception Endlicher’s photographic type faces are particularly challenging for the receptive abilities of the observer by initially refusing any possibility of interpretation: in the first moment of perception, the visual motive cannot be grasped as a whole nor can the individual letters be read in form of a text.
Between openness and closeness Michael Endlicher questions the validity of general and personal roles within the context of art.

Birgit Rinagl, 2013. She works as literary scholar, independent curator, artistic photographer and secretary in Vienna.
 

Ich bin ein e. Künstler | Über-Ich und Du, Galerie Kühlraum, Wien, 2009