Vor einigen Wochen ist Michael Endlicher auf mich zugekommen und hat mich gefragt, ob ich zu seiner Ausstellung „It´s the poetry, stupid!“ eine Eröffnungsrede halten könnte. Das fand ich interessant, denn die Position des Sprechens über die Kunst anderer ist für mich als Künstler eine doppelte Herausforderung, da ich normalerweise selbst mit Bildern kommuniziere, mehr als darüber zu sprechen und zu texten. Es verlangt also Abstand zu gewinnen, die Perspektive zu wechseln, aus dem Raum des eigenen Bildermachens herauszutreten, um eine künstlerische Position zu entwerfen, die über die Kunst anderer spricht, eine Strategie mit Worten und Texten, die Bildern etwas zuspricht, oder die zumindest ein Verhältnis zur Kunst anderer Künstler aufbaut, um gemeinsam darüber nachdenken zu können.
Dies alles ist aber eigentlich auch die Strategie von Michael Endlichers Kunst. Seine Arbeit bewegt sich genau in diesem Dreiecksverhältnis: Zwischen Bild, Text und Sprache, und deren repräsentativer Metaebenen. Eine verfranste Kunst, um mit den Worten von Adorno zu sprechen. Eine Kunst, die keine strikte Spartentrennung mehr zwischen Dichtung und Malerei kennt, wie sie noch Lessing in seinem 1766 erschienenen Aufsatz mit dem Titel: „Laokoon – oder über die Grenzen zwischen Malerei und Poesie“ als die zwei ungleichen Schwestern bezeichnet hat. Das ist zwar schon lange her, aber interessanterweise beschäftigt Lessing in seiner Abgrenzungsargumentation schon die Frage nach der Handlung. Es geht also um eine Kunst, deren Fragestellungen im Laufe des letzten Jahrhunderts den zweidimensionalen, virtuellen Raum der Malerei verlassen hat, sich schrittweise ästhetischen Fragen bildnerischer Zeichensysteme gewidmet hat, um in einem weiteren Schritt soziale und gesellschaftliche Rahmenbedingungen von Kunst und deren Vermittlung durch künstlerisches Handeln zu thematisieren. Endlichers Arbeit steht somit in einer Tradition, die man heute im weitesten Sinne als kontextuelle Kunst bezeichnet.
Interessant bei Michael Endlichers Arbeit ist dabei, dass er immer am Bildlichen festhält. Er konfrontiert gefundene, erdachte, teilweise der Kunsttheorie entwendete, formulierte Wörter mit einem Bild oder, besser gesagt, zumindest mit einem Bildträger, und dabei entsteht beim Betrachter ein visueller Konflikt, eine Spannung, eine Differenz, die das betrachtende Gegenüber zu einer bestimmten erhöhten Aufmerksamkeit zwingt. Manchmal ist es nur ein Nachdenken über die eigenen Bezüge und Kontexte, indem man versucht die zugrunde liegenden Formeln, die Michael Endlicher wie kleine Rätselaufgaben in seine Bilder verpackt, zu entschlüsseln, oder ein Stammeln der bis zur Grenze der Lesbarkeit verschlüsselten Typografie. Es geht aber auch über zu performativen Handlungen, dem Einsatz des eigenen Körpers, wie im unteren Stockwerk der Galerie zu sehen ist. Wenn man verschlungene Wege abschreiten muss, um einen Text zu erfahren. Übrigens ein Text bzw. Textausschnitt, den Martin Prinzhorn über das Verhältnis von Text und Bild in der zeitgenössischen Kunst und deren Bezüge in der Arbeit von Michael Endlicher geschrieben hat. Das Theoretisieren und Nachdenken über Kunst wird bei Endlicher also wieder zu einer künstlerischen Handlung.
Michael Endlichers Bilder sind also keine einfachen „Talking Pieces“, Bilder die als Bilder sprechen wie wenn sie mit Sprechblasen versehen wären. Nein, ihnen wird der Text förmlich aufs Auge gedrückt. Eingeprägt, eingestanzt, wie in den sogenannten Dramenblechen. Oder sie werden in die Leinwand hineingeschnitten, geritzt, hineingebrannt, sodass Löcher und Leerräume entstehen. Sie werden mit Text verunreinigt, zugetextet mit Anmaßungen und Selbstzuschreibungen, die zum Beispiel die eigene Identität und Körperintegrität als Künstler in Frage stellen.
Thematisch zentriert sich diese Frage im zweiten Stock der Galerie in Form einer Videoarbeit und mehreren Siebdrucken auf Leinwand. Wenn man dieses Video genau betrachtet, lässt das Weiß des Leintuchs, der nackte menschliche Körper, die Bewegung und die Symmetrie des Settings klinische Assoziationen anmuten, wie sie im Bereich der Medizin etwa in der Computertomografie beim Scan des menschlichen Körpers zu finden sind. Sensibel gelöst ist hier das, was sich im Hintergrund am Bildschirm vollzieht. Es ist ein besonders spannendes Spiel mit dem was im Kinoapparat als Blickregime bezeichnet wird. Eine Form der voyeuristischen Attraktion die in dieser Art und Weise nur in einem zeitgebundenen Medium möglich ist. Langsam schiebt sich von beiden Seiten das Motiv, der nackte menschliche Körper ins Bild und wird im Zentrum vom Bildschirm förmlich verschluckt. Nur langsam rückt die verdeckte Scham ins Bildgeschehen und scheint sich am Ende des Loops dennoch zu entblößen, wenn die letzten Haarbüschel des Kopfes am Ende des Loops verschwinden. Was sich hier sensibel und hintergründig rein im Kopf des Betrachters als Frage nach dem biologischen Geschlecht, einer biologischen Identität auftut, wird durch den Text im Vordergrund hart überlagert: der Frage nach der sozialen, beruflichen Identifizierung.
Zuletzt möchte ich noch auf den dritten Aspekt in der Ausstellung hinweisen, der sich im dritten Untergeschoß der Galerie befindet:
Michael Endlicher lädt hier in seine Ausstellung befreundete Künstlerinnen und Künstler ein. Positionen und Interventionen, die in einem bestimmten Verhältnis zu seinen Ansätzen stehen. Der Kontext ist hier wiederum ein sozialer. Denn trotz eigenständiger Überlegungen und Ansätze stehen wir immer in einem Beziehungsverhältnis: Bild und Betrachter, Sprecher und Zuhörer, Ich und die anderen - Künstler. Ein Verhältnis vielschichtiger Überlagerungen.
So beschäftigt sich Christian Stock seit Jahren mit Fragen der erweiterten Malerei. Seine Arbeit „rotes Würfelbild“ das aus 2147 Schichten roter Acrylfarbe besteht, das er 1999 begonnen hat und 2017 dann als Würfel fertig gestellt werden soll, erweitert die Malerei buchstäblich in die dritte Dimension. Daneben sieht man, stapelweise in Kisten verpackt, Abstriche auf Papier, die Christian Stock parallel zu den Schichtungen auf Leinwand anfertigt. Die Papierunterlage, die Spuren des Arbeitsprozesses zeigt, verweist auf den prozesshaften Charakter seiner Arbeit.
Natalie Deewan zeigt ein Schriftband, einen Text in zwei farblichen Versionen, der in seiner poetischen Verfasstheit Narrationen zu Michael Endlichers Kunst enthält und dazu den Künstler Michael Endlicher thematisiert. Das ist Kommunikation im Lacan´schen Spiegelstadium: Gott Alphabet und sein Knecht Endlicher, und Knecht Alphabet und sein Gott Endlicher. Formal erinnert das Schriftband an eine Schriftrolle und auch der litaneiartige Text, dem wahrscheinlich ein wildes Denken zugrunde liegt, soll offensichtlich den Leser in einen zeitlos -tranceartigen Zustand versetzen.
Überlagern und durchkreuzen, das tut auch Christoph Freidhöfers und Paul Gründorfers interaktiver fahrbarer Roboter. Er irrt im Raum umher, sieht irgendwie aus wie ein zoomorphes Schoßhündchen mit Haifischflosse und spuckt förmlich Gehörtes, der zuvor gesprochenen Worte Aufgezeichnetes, akustisch in den Raum.
Am Ende bleibt bei mir der Verdacht einer Doppelcodierung:
Ich lese Ihnen vor und spreche in den Raum – all das, was sie vermutlich beim Betrachten der hier gezeigten Arbeiten auch tun werden. Wahrscheinlich ist die Entscheidung von Michael Endlicher mich als Künstler und Redner zu engagieren Teil seiner künstlerischen Strategie:
Die Kunst mit Texten nach den Bedingungen von Kunst zu durchpflügen.
Christoph Urwalek, bildender Künstler und Professor im Fachbereich Kunst und Kommunikation, Akademie der bildenden Künste, Wien. Rede anlässlich Endlichers gleichnamiger Ausstellung in der Galerie Peithner-Lichtenfels, 2014.