In einer historischen Perspektive steht Schrift in der bildenden Kunst gleichzeitig für und gegen Abstraktion. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts steht der Buchstabe im Bild letztendlich immer für Ungegenständlichkeit als Prozess der Bildnerei der Moderne. Entweder reiht er sich in die abstrakte Formensprache als eine gleichsam geometrische Figur ein und steht dann irgendwo zwischen Kreis, Linie und Rechteck oder er ist aus dem Verfahren der Collage heraus entwickelt eine Art Hybrid zwischen sprachlichem Bedeutungsträger und formalem Bildteil. Der formale Aspekt deutet jedenfalls immer in die Richtung einer inhaltlichen Reduktion. In der Mitte des Jahrhunderts tritt hier eine Änderung ein, vielleicht schon bedingt durch Duchamps künstlerische Praxis, ganz sicher aber durch jene Kunstrichtungen, die sich in der ein oder anderen Art in der Nachbarschaft oder Nachfolge dieser Praxis gesehen haben, also durch Surrealismus, Fluxus, Konzeptkunst und Pop Art. Die Schrift im Bild wird dann gewissermaßen mehr und mehr wieder zu ihrer ursprünglichen, sprachübertragenden Funktion zurückgeführt und dabei gleichzeitig aus den anderen Formen des Bildes herausgelöst oder diesen entgegengestellt. Dies sieht man in klassischen Arbeiten der Konzeptkunst wie Kosuths ‘One and Three Chairs’, wo Gegenstand, Abbild und sprachliche Definition (Schrift) getrennt parallel präsentiert sind. Schrift steht hier in so ferne gegen bildnerische Abstraktion als der Kontext des Bildes ja als zu eng empfunden wird und daher innerhalb der bildenden Kunst durch andere Modi ersetzbar gemacht werden soll. Schrift als Form des Bildes soll spätestens dann keine genuine Rolle mehr spielen, wenn John Baldessari den Text des Kritikers über ein gemaltes Bild von einem Plakatmaler auf die Leinwand übertragen lässt. Hier wird eine autonome Sprache der Kunst hinterfragt und die Schrift wird zum Signifikanten der Unmöglichkeit einer solchen Autonomie. Gleichzeitig, und in diesen Arbeiten ironisch, wird das Verhältnis zwischen Kunst und Kritik, bzw. Interpretation angesprochen: Wo Schrift in ihrer sprachlichen Funktion Teil des Bildes wird, ist das Verständnis des Bildes nicht mehr ohne Verständnis des Textes möglich und das heißt ja dann möglicherweise, dass das Verständnis der Kunst nicht mehr ohne außerkünstlerische Referenzen möglich ist. Was damals noch spielerisch und ironisch verhandelt wurde, ist immer noch aktuell und führt zu dem einigermaßen hilflosen Versuch, zwischen Referenzkunst und anderer Kunst zu unterscheiden. Schrift ist dann also genauso wie künstlerische Repräsentation im Allgemeinen im Zentrum der Debatte um das Wesen der Kunst und um das Wesen des Bildes. Dabei sollte man sich auch vor Augen halten, dass die Schrift selbst schon ein paar tausend Jahre früher einen durchaus parallelen Prozess zu jenem der Abstraktion des Bildes in der Moderne durchgemacht hat: Auch hier standen am Anfang Bilder, die zu Zeichen für Lautfolgen und schließlich zu einzelnen Lauten abstrahiert wurden. Wo der Vergleich hinkt, ist beim Ergebnis: Der Buchstabe kann sich durch regelhafte Kombination mit anderen jederzeit wieder zur sprachlichen Figur zurück bewegen. Aber das monochrome Bild? So analytisch man eine solche Debatte auch innerhalb der Kunst führen kann, letztendlich widersetzt sich diese solchen einfachen Reduktionen. Die Dynamik ist so stark, dass man nicht einfach an einem Punkt stehen bleiben kann, Figuren sind auf Dauer nie als Figuren festmachbar, genauso wenig wie Abstraktionen solche bleiben müssen. Daher löst sich auch die Relation von Schrift und Bild in der Kunst immer wieder in einer spielerischen Ästhetik auf.
Michael Endlichers Arbeiten sind gute Beispiele für diese nicht enden wollende Reibung. Immer wieder neu verhandelt der Künstler die Dinge in dieser komplexen Verwobenheit, einmal liegt das Gewicht in einer Art reinen Malerei und die Buchstaben wirken wie Additionen aus einer anderen Welt, einmal ist nur noch das Format des Tafelbildes Träger der reinen Schrift. Dass er sich dabei nicht auf einen bestimmten Strang, auf ein reduziertes Programm einlassen will, liegt sozusagen in der Natur der Sache. Im Zentrum der Arbeit steht die Behauptung, dass die konzeptuelle Ebene der Form nicht eindeutig zuordenbar ist, das Bild nicht von der Rede über das Bild trennbar ist, die Rede nicht von der ausgelösten Emotion und die Emotion wiederum nicht von der Bildform. Gerade deshalb werden die Zuordnungen in den verschiedenen Varianten wieder und wieder durchgeführt. Dabei werden auch die Rollen ständig umverteilt, ein monochromes Bild spricht zu uns, erklärt etwas zur abstrakten Malerei und wir fragen uns gleichzeitig, was das Bild, die Farbfläche im Keilrahmen dann noch sagt. Durch solche Überladungen wird Endlichers Ansatz deutlich: Die Nummerntafeln auf den Kühlerhauben identifizieren das Abgebildete nochmals dadurch, dass darauf Autogeräusche durch Schrift repräsentiert sind. Eine Beziehung wird hergestellt, um dann durch das Herstellen einer weiteren wieder relativiert zu werden.
In den Arbeiten aus der Serie ‘Dramenbleche’ wird die Wende zur Sprache wieder dadurch unterminiert, dass die drei Begriffe, die in Blechtafeln unter einer Nummer geprägt sind, in ihrer Zusammensetzung wieder etwas so Subjektives und Emotionales wie ein gestischer Pinselstrich an sich haben. Was von der äußeren Form her wie eine trockene Konzeptarbeit wirkt, ist auf der inhaltlichen Ebene dann wieder sehr offen und subjektiv. Trotzdem ziehen sich die Arbeiten niemals auf die Ebene einer reinen Poesie zurück, das analytische Handwerkszeug bleibt immer klar sichtbar. Die Schrift kommt oft wie eine Gebrauchsanweisung auf dem Bild daher, nur sind Gebrauchsanweisungen im Normalfall beigepackt und so nicht Teil dessen, zu dem sie anleiten. Die so entstehende Irritation weist immer wieder auf den unterschiedlichen und oft widersprüchlichen Gebrauch der Schrift in der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts zurück und letztendlich damit auch auf die ewige Problematik des Verhältnisses von Form und Inhalt in der Kunst ganz allgemein. Es geht ja tatsächlich in der Arbeit um alle möglichen Grenzen: zwischen Malerei und Text, zwischen Fläche und Form, zwischen Offenheit und Geschlossenheit, aber auch immer um jene zwischen Objekt und Konzept, Künstler und Kritiker, Kunst und Kritik. Michael Endlicher scheint alle diese Positionen wieder und wieder einzunehmen und dabei auf ihre Unhaltbarkeit hinzuweisen.
In seinen ‘Votivbildern’ bilden mehr oder weniger monochrom strukturierte Flächen einen Hintergrund für ausgestanzte Begriffspaare, die vertikal unterschiedlich angeordnet sind. Die Begriffspaare sind mehr oder weniger trivial, scheinen aus der Assoziation des Augenblicks entstanden. Diesem eher oberflächlichen Aspekt steht das Bild als Gegenstand der Anbetung gegenüber. Wieder sind es die Widersprüche, die die Begriffspaare multiplizieren und immer mehr Gegensätze entstehen lassen.
Endlicher erzeugt einen dynamischen Fluss zwischen den verschiedensten Positionen, die entstehenden Überraschungen sind selbst nie fixiert, sie oszillieren zwischen schnellem Witz und tiefsinniger Analyse ganz in der Art wie wir beim Betrachten oft fast gleichzeitig in ein Loch aus Farben hineingezogen werden und einen Text im Bild lesen, der uns in eine ganz andere Richtung zieht.
Martin Prinzhorn, 2008; Linguist, Essayist und Kritiker, Kurator, Wien