Suchspiel zwischen Imagination und Desillusion




In der Installation im Red Carpet Showroom interpretiert Michael Endlicher Kunst im öffentlichen Raum via Schaukastenprinzip als bildnerischen Lexikoneintrag.

Endlichers multimediales Arrangement bietet sowohl das schnelle visuelle Flashlight für Vorbeihetzende als auch tiefergehende Bildrätsel für allfällig Verweilende. In seiner künstlerischen Arbeit untersucht Endlicher, wie Bedeutungen entstehen, sich verwandeln und auch wieder vergehen. Er arbeitet mit Sprache, mit Zitaten und selbstverfassten Litaneien, setzt diese im Kontext unterschiedlicher Medien ein. Seine vielschichtigen Arbeiten thematisieren Grenzen und Vernetzungen zwischen Malerei, Video und Literatur, zwischen Kunstproduktion und Kunstkritik.

Kunst als die Wissenschaft transzendierendes Medium
Wie ist es also, eine Fledermaus zu sein? Die Frage irritiert. Das Flattertier ist ein einprägsames, aber widersprüchliches Symbol. Gilt sie bis heute in der abendländischen Kultur als Sinnbild des Unheimlichen, Bedrohlichen, so schwirrt der faszinierende Flugsäuger in der jahrtausendealten chinesischen Kultur als zentraler Glücksbringer durch die Lüfte. Die chinesische Lautsilbe „fu“ steht für Fledermaus und für Glück. Die Renaissance brachte sie auch mit der Melancholie in Verbindung, in Wien machte sie Johann Strauß zum Ohrwurm der leichten Muse. Die Betrachterin, der Betrachter sind gefragt – und gefordert. Der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel konnte die Frage in seinem Aufsatz „What is it like to be a bat?“ jedenfalls nicht beantworten. Dafür würden die wissenschaftlichen Mittel nicht ausreichen. Philosoph und Künstler empfehlen stattdessen, ganz in der romantischen Tradition, als Lösung eine neue, „fantastische“ Sichtweise einzunehmen – nämlich jene des Tiers, dem man auch ein Subjekt zugestehen sollte.

Zeitlose Sehnsucht nach dem Fantastischen
Die Welt sei gespalten, diagnostizierten die Romantiker vor 200 Jahren, auf der einen Seite Vernunft, Zahlen und Fakten, auf der anderen Gefühle, Leidenschaften und das Wunderbare. Zu heilen wäre die Welt nur durch grenzenlose Fantasie und zügellose Poesie, also durch Kunst – daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Sehnsuchtsmetapher für die Unerreichbarkeit des Glücks des deutschen Romantikpioniers Novalis, der berühmten „blauen Blume“, erweist Endlicher doppelte Referenz. Die liebliche Blüte des möglichen realen Pendants, der gemeinen Wegwarte, scheint zwar verloren, dafür wird auch ihr lateinischer Name in Szene gesetzt. Cichorium intybus! Möge die Macht der Natur mit uns sein.

Ich muss mein Leben ändern
Kulturell und zwischenmenschlich geht ohne Romantik gar nichts, um Politik hat das Romantische jedoch einen großen Bogen zu machen, denn „...romantische Politik ist gefährlich. Für die Romantik, die eine Fortsetzung der Religion mit ästhetischen Mitteln ist, gilt dasselbe wie für die Religion: Sie muss der Versuchung widerstehen, nach der politischen Macht zu greifen.“ (Rüdiger Safranski). Nun ist auch im 21. Jh. auf politischer Ebene weit und breit keine Postromantik in Sicht. Was tun? Beim Blick auf die Wüstenlandschaft in der Lichtbox leuchtet einem erst auf den zweiten Blick das Unausweichliche ein: Ich bin gemeint, ich müsste was ändern. Und am besten gleich im großen Stil.

Romantische Ironie
Aufreizend beiläufig und dennoch präzise stellt die Installation ihre eigene Scheinhaftigkeit aus, ein weiteres Postulat aus den Anfängen der Romantik, das bis heute dankbar von der zeitgenössischen Kunst aufgegriffen wird. Und nicht zuletzt zollt Endlicher einem seiner Säulenheiligen Tribut: Joseph Cornell. Der unter Sammelwut leidende New Yorker, verehrt für seine handgemachten poetischen Schaukästen und seine magisch subjektiven Videos, gibt als Fenstergucker den Paten dieses postromantischen Experiments.

Das große Staunen
Zwar ist die ausladende Vitrine kein klassischer Guckkasten, dennoch referiert der Künstler mit seiner Bespielung als „Schau(er)kasten“ – siehe sein eindrückliches Video aus surrealen Körperbildern und erfundenen Wörtern – auf das weite Feld der (Wiener) Volksbelustigung. Schließlich sahen die Romantiker nur das Verhalten des „einfachen Volkes“ als natürlich und wahrhaftig an. Vielleicht entwickelt die Installation in den unheimlichen Tiefen des hochfrequentierten Ubahnknotenpunkts ja magische Anziehungskraft. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.



Endlicher, 2015, Pressetext zu Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? Ein postromantischer Schau(er)kasten, im Red Carpet Showroom/U-Bahnknoten Karlsplatz, Wien, 15.–30. April 2015