Katalogpräsentation „linguistic turns“ und Ausstellung katalogspezifischer Arbeiten, 26. Jänner 2006, Lukas Feichtner Galerie




Michael Endlicher - linguistic turns
Textbilder, Textobjekte, Texte 2000 - 2005; mit Beiträgen von Christian Reder, Elke Krasny, Michael Endlicher, Brigitta Höpler, Simon Crutchley, Bruno Liberda
72 Seiten, 28/24 cm, vierfärbig, 24 Euro, ISBN 3 85252 695 7
Der Katalog ist im Verlag Bibliothek der Provinz und in ausgesuchten Buchhandlungen erhältlich.


Erstmals wurde auch die neue Serie der selfportraits from A to Z präsentiert.


Großen Anteil am Erfolg des Abends hatten auch die gesprochenen Worte:

Das tun zu können, was ich glaube tun zu müssen.
Doris Rothauer zu Michael Endlicher

>>Einige von Ihnen hat gestern sicherlich der email-reminder von Michael Endlicher erreicht, in dem er die heutige Katalogpräsentation und Ausstellungseröffnung nochmals in Erinnerung gerufen hat. Da stand zu lesen: Doris Rothauer zu Michael Endlicher. Eigentlich sollte es ja heißen: Doris Rothauer zu den Bildern von Michael Endlicher, oder - noch genauer - zu Text und Textur bei Michael Endlicher. Warum also diese Verkürzung?

Ich habe Michael Endlicher nicht als Künstler, sondern als Freund und Studienkollegen kennen gelernt, zu einer Zeit, als es seine Kunst in der hier ausgestellten Form noch nicht gegeben hat. Wir haben beide Betriebswirtschaft studiert, und sind beide in der Kunst gelandet Ð für ihn offensichtlich damals schon klar, denn als ich ihn vor ein paar Tagen in seinem Atelier befragt habe, wann und wie das mit der Kunst begonnen hat, lautete seine Antwort: „Die Kunst war immer schon da.“ - und dann der Nachsatz: „Zum Beispiel in der Mittelschule in den Lateinbüchern“.

Genau das ist es, was ich an ihm immer schon so geschätzt habe: sein Wortwitz und sein skurriler Humor, Ausdruck einer ungeheuren Kreativität. Gleichzeitig verbindet sich seine Sprache fast immer mit und zu Bildern, in seinem eigenen Kopf, im Kopf desjenigen, der zuhört, und konsequenterweise auch in seiner Malerei.

Als ich in kennenlernte, gab es die legendären Leu-Feste, die er mit seiner Schwester alljährlich veranstaltete, im Wald, auf Ritterburgen, und man glaubte sich in eine Märchenwelt zurückversetzt. Ähnlich ging es mir mit den Traumerzählungen, denen ich stundenlang lauschen konnte, und ich kenne niemanden außer ihm und seiner Schwester, die so phantasievoll träumen können. Oder die Traumtagebücher, in denen alle diese unglaublichen Träume niedergeschrieben und gezeichnet wurden - und ich frage mich heute, ohne mit Michael darüber gesprochen zu haben, ob es die wirklich gegeben hat, oder ob da meine Phantasie mit jener der beiden Geschwister durchgegangen ist.
Heute sind es wohl die Gute-Nacht-Geschichten, die er seinen beiden Söhnen vorm schlafen gehen erzählt, die diese Tradition fortsetzen.

Auch wenn die Kunst also immer schon da war, hat sich Michael Endlicher erst vor 9 Jahren dazu entschieden, kompromisslos Künstler zu sein, was für ihn so viel bedeutet wie das Privileg, nicht unentweg kommerziell denken zu müssen, oder auch, mit seinen eigenen Worten gesprochen: „Das tun zu können, was ich glaube tun zu müssen.“ Und das ist zweifellos ein Privileg der Künstler – abgesehen mal von Puh der Bär.

Es ist aber nicht nur ein Privileg, sondern auch ein Fluch – denn als Künstler muss man für diesen Zwang zum künstlerischen Tun zumeist auch die latent finanziell prekäre Situation in Kauf nehmen. Künstler zu sein, hat immer noch mehr mit Berufung als mit Beruf zu tun, und die meisten Künstler müssen einer anderen Erwerbstätigkeit neben ihrer Kunst nachgehen. Dieses Auseinanderklaffen von symbolischem und ökonomischen Wert hat schließlich auch mit der Frage nach der gesellschaftlichen Funktion von Kunst zu tun. „Der Preis für die Autonomie ist die Ohnmacht“ - so hat das einmal ein Kulturwissenschaftler ausgedrückt, d.h. das Privileg bedeutet nicht nur Fluch, sondern auch gesellschaftliche Ohnmacht. Daher braucht es viel Beharrlichkeit und Ausdauer, um Künstler sein zu können, eine Beharrlichkeit und Ausdauer, über die Michael Endlicher zweifellos verfügt, und der es unter anderem auch zu verdanken ist, das ich heute hier bin.

Die Ausstellung - und nun komme ich doch noch zum eigentlichen Thema des heutigen Abends - zeigt eine Auswahl aus vier aktuellen Werkgruppen: die Selbstportraits, die Dramenbleche, die Votivbilder, die Kritikbilder.

Und es gibt jeweils gute Gründe, sie heute hier zu zeigen (abgesehen davon, dass sie alle im neuen Katalog zu finden sind):

- die Selbstportraits - weil sie noch nie ausgestellt waren
- die Dramenbleche - weil sie bei Galeristen so beliebt sind
- die Votivbilder - weil sie sich am besten verkaufen
- und die Kritikbilder - weil ich sie so gerne mag

„Das Bild hat immer das letzte Wort“ – ein Zitat von Roland Barthes, und ein Lieblingszitat von Michael Endlicher. Einerseits ist es die Materialität, die seine Kunst bestimmt, andererseits sind es Wörter und Wortspiele, die er einsetzt, und die Irritation, Verunsicherung, hintergründig Ironisches hervorrufen. Text und Malerei gehen eine ungewöhnliche Verbindung ein, die zwar sehr unterschiedliche Ergebnisse bringt, vom Grundprinzip her aber immer gleich bleibt: Nämlich dass die Malerei und der Text gleichwertig sind und daher auch nie für sich alleine funktionieren können, ebenso wie die Malerei nie Hintergrund für den Text ist. Das unterscheidet seine Arbeiten von einer Vielzahl anderer konzeptueller Ansätze in der Kunst, die mit Sprache und Text arbeiten.

Aber genau das macht es auch so schwer, Michaels Bilder zu begreifen. Worauf fällt der Blick, wenn er Kunst betrachtet, wo bleibt er hängen? Wir haben gelernt, ein Bild ist ein Bild, und ein Text ist ein Text. Text in der Kunst suggeriert Theorie, Diskurs, Kritik oder auch Philosophisches; Malerei evoziert ganz andere Seh- und Rezeptionsgewohnheiten. Natürlich gibt es auch Texte, die Bilder im Kopf auslösen, aber die Malerei von Michael Endlicher entspricht zumeist nicht diesen Bildern. Die Verbindung von Text und Malerei, von Text und Bild muss bei ihm also neu erforscht werden. Dazu kommt als Erschwernis, dass – abgesehen von den Dramenblechen – die Arbeiten formal nicht einheitlich, also nicht einordenbar sind.

Warum das so ist, kommentiert Michael Endlicher so: „Jedes Bild nimmt seinen Satz sehr ernst.“ - Wir müssen uns also weiter anstrengen.

Die Dramenbleche machen es den Mathematikern und Systemikern unter Ihnen noch relativ leicht: Ordnet man jedem Buchstaben eine Zahl im Alphabet zu, also a = 1, b = 2, etc., dann kann man für jedes Wort eine Summe, einen Zahlenwert bilden. Nun ergeben die 3 Wörter auf jedem Dramenblech jeweils immer den gleichen Zahlenwert - man könnte also sagen, das Alphabet und eine mathematische Formel sind Produzent eines Bildes, das Bild wird quasi errechnet. Gleichzeitig sind die von Michael Endlicher gewählten Wörter ja nicht ganz beliebige, sondern bewusste Reizwörter, vor allem wenn sie miteinander in Verbindung gebracht werden. Dann lösen sie im Kopf des Betrachters kleine „Minidramen“ aus.

Am schwersten machen es einem die Kritikbilder. Diese Bilder enthalten Kunstkommentare Anderer, sind also Zitate aus der Sekundärliteratur. Sie beschreiben ein Bild, das aber nicht gezeigt wird. Stattdessen werden sie in ein anderes Bild hineingeholt, wobei hier am stärksten zu tragen kommt, dass jedes Bild seinen Text sehr ernst nimmt: Das von Michael Endlicher gemalte Bild ist nocheinmal die Darstellung des Satzes auf der malerischen Ebene. Dass er damit der Kunstkritik und dem gängigen Kunstdiskurs ordentlich auf den Schlips steigt, dass er damit das Selbstreferentielle des Kunstbetriebes entlarvt, ist Nebeneffekt.

(Oder auch nicht, den 2001 hat er ein Manifest zu den Kritikbildern geschrieben, das auch im Katalog abgedruckt ist:

„Die mediale Bedeutung von Kunstkritik, Kuratorenwesen und Museumspolitik drängt die der Kunstschaffenden an den Rand. Kunstbewerter und -beschreiber sind wichtiger geworden als die Künstler selbst. Was ist zu tun? Malerinnen und Maler: übt euch in Textverarbeitung! Setzt den geschriebenen Kritiken gemalte entgegen! Die Kunstkritik von heute ist die Kunst von morgen!“)

Wenn es jetzt noch immer etwas gibt, was Sie wissen wollen, dann bitte ich Sie, den Katalog zu kaufen.
Oder versuchen Sie einfach das zu sehen, was sie glauben, sehen zu müssen.<<



Eine Nachbetrachtung zur Ausstellung mit Texten von Doris Rothauer und Brigitta Höpler erschien in der Aprilausgabe 2006 der Zeitschrift vernissage.